Jeden Tag stürmen Tausende von Informationen auf uns ein. Zum Glück selektiert unser Gehirn schon im Vorfeld, ohne dass uns das bewusst ist, diese Informationen. So nehmen mir in erster Linie das auf, was für uns von Interesse ist, was wir verwerten können und was von großer Intensität ist. Das ist auch gut so, denn würden wir alle, täglich auf uns einstürmenden Informationen wirklich bewusst wahrnehmen, würden wir wahrscheinlich verrückt werden. Obwohl uns die Natur so schützend ausgestattet hat, ist es dennoch so, dass Kinder so eine Art innerer Schutzhülle brauchen, die sie vor zu großen Belastungen und Ansprüchen schützt. Sie müssen einerseits robust und widerstandsfähig werden, um die Belastungen aushalten zu können. Sie müssen andererseits selbstbewusst genug sein, um Anforderungen abwenden zu können und sie müssen in der Lage sein, zwischen für sie wichtigen und unwichtigen Dingen und Anforderungen zu unterscheiden. Vor allen Dingen brauchen sie viel Mut und innere Stärke, um das “Nein” sagen zu lernen und um kompetent mit frustrierenden Situationen umgehen zu können. Sie brauchen aber auch ein hohes Maß an Selbstkompetenz, denn sie müssen einschätzen, was sie sich zumuten können und wo Überforderung droht. Dazu ist es notwendig, dass sie ihre Stärken und Schwächen kennen und einschätzen lernen und ihnen Erwachsene zur Seite stehen, die sie dabei unterstützen.
Kinder sollten auch lernen
sich auszuklinken, ohne Angst vor Verlust zu haben,
Ruhe zu ertragen und zu genießen und sich zu entspannen,
ihre Energien auf das Wesentliche zu beschränken,
ihr Leben nicht fremd- oder medienbestimmt zu leben,
Balance zwischen Be- und Entlastung zu halten,
einen individuellen Maßstab für Wohlbefinden zu entwickeln.
Woran Sie erkennen können, ob Ihr Kind stressresistent ist
Ihr Kind “ruht in sich” und hat eine hohe Frustrationstoleranz.
Es ist fähig, sich selbst Mut zuzusprechen und zu motivieren.
Es besitzt Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, denkt vorwiegend positiv und besitzt Humor.
Es ist ausgeglichen und hält die Balance zwischen Be- und Entlastung.
Es kann sich entspannen und kennt Entspannungsmöglichkeiten (-techniken), die zur Entlastung führen.
Es spürt, wenn es müde ist und gönnt sich dann den erholsamen Schlaf.
Es kann sich zurückziehen, alleine sein und alleine spielen, Stille genießen.
Es kann sich auf Wesentliches konzentrieren und ist in der Lage, auch einmal loszulassen.
Es fühlt sich vorwiegend in seiner Haut wohl und muss sich deswegen nicht ständig mit anderen Kindern messen.
Es hat gelernt, Kritik als hilfreich zu empfinden.
Was Sie tun können, um die Stressresistenz Ihres Kindes zu unterstützen
Lassen Sie Ihr Kind wieder Kind sein!
Kind sein dürfen bedeutet, nicht mit Fernsehprogrammen (Sex und Gewaltverherrlichung), Spielmaterialien (Videospielen) und Anforderungen (welches Auto sollen wir kaufen) konfrontiert zu werden, die nicht altersgemäß sind.
Sorgen Sie für Platz, Zeit und einfache (Spiel-)Materialien!
Ihr Kind möchte und muss spielen. Überfrachten Sie es nicht mit von Ihnen gewählten Aktivitäten. Wenn es einem Elternwunsch nachkommt, hat es ausreichend Zeit, um eigene Bedürfnisse zu befriedigen und kindgemäßen Spielaktivitäten nachzukommen.
Akzeptieren Sie eine “fördernde Langeweile!”
Auch Sie möchten nicht ständig ” unter Strom stehen “. Auch Sie genießen es, nichts zu tun, zu entspannen und Dinge zu tun, deren Sinn andere Menschen nicht nachvollziehen können. Gönnen Sie das auch Ihrem Kind. Das Spiel Ihres Kindes erzeugt häufig einen Sinn, den nur Ihr Kind versteht und den Sie auch gar nicht verstehen müssen. Sie können aber sicher sein, dass Spielen die größte Quelle von Kreativität und Erfindungsgeist ist. Im Spiel entdeckt das Kind sich selbst und seine Fähigkeiten.
Spielen Sie häufig mit Ihrem Kind!
Das tut Ihnen und Ihrem Kind gut. Ihr Kind fühlt sich angenommen und geborgen und Sie können entspannen und sich in die Welt des Kindes begeben. Das schafft Nähe und Verständnis, Anerkennung und Geborgenheit.
Seien Sie Vorbild!
Verzichten auch Sie auf die Nachrichten während der Mahlzeiten. Eilen Sie nicht hektisch von einem Termin zum anderen und gönnen auch Sie sich Ruhe. Genießen Sie mit Ihrem Kind eine entspannende Auszeit, einen gemeinsamen Mittagsschlaf, entspannende Traumreisen oder Yogaübungen für die ganze Familie. Erledigen Sie eine Aufgabe nach der anderen und versuchen Sie nicht, möglichst viele Dinge auf einmal zu erledigen und möglichst viele Termine unter einen Hut zu bringen. Suchen Sie sich einen kreativen Freizeitausgleich, gönnen Sie sich gemeinsame Spaziergänge und hören Sie gemeinsam Musik.
Entschleunigen Sie Ihr Familienleben!
Stopfen Sie Ihren Alltag nicht mit Arbeit und Aktivitäten voll. Sorgen Sie dafür, dass das gesamte Familienleben durch eine Balance zwischen Spannung und Entspannung geprägt wird. Ein vollgestopfter Alltag verursacht Stress. Sorgen Sie für Auszeiten!
Entdecken Sie die Langsamkeit!
Was hindert Sie daran, selbst die Aufgaben in aller Ruhe zu erledigen? Warum sagen Sie nicht einfach einen Termin ab, der dazu führt, dass Sie eine zu erledigende Arbeit in Hektik erledigen? Sagen Sie den Besuch bei Tante Barbara ab, damit Ihr Kind in aller Ruhe das Bild zu Ende malen kann. Es muss nicht immer alles ganz schnell gehen. Lernen Sie mit Ihrem Sprössling gemeinsam, entspannt durch Leben zu gehen. Streichen Sie in Ihrem Terminplan alle Dinge, die nicht unbedingt erledigt werden müssen.
Führen Sie Ruherituale ein!
Stehen Sie morgens etwas früher auf, damit noch Zeit zum Kuscheln mit den Kindern, ein gemeinsames Frühstück, ein entspanntes Gespräch ist. Führen Sie eine mittägliche Lese- oder Kuschelstunde ein. Trinken Sie gemeinsam am Nachmittag einen Kakao und gönnen Sie sich ein paar Vorleseminuten am Bett Ihres Kindes. Halten Sie gemeinsame Pausen ein, in denen weder der Fernseher noch das Radio läuft. Und fragen Sie dabei nicht ständig: Was hast du gerade gemacht? Was wirst du gleich tun?
Bewegen Sie den Familienalltag!
Bewegung baut Spannung ab. Deswegen ist es wichtig, den Kindern bewegungsreiche Aktivitäten anzubieten. Und das möglichst in freier Natur. Wenn Kinder laufen, springen, toben, klettern, balancieren und dabei viel Sauerstoff einatmen, setzt das Glückshormone frei und führt dazu, dass kein neuer Stress aufgebaut wird.
Beobachten Sie das Spielverhalten Ihres Kindes!
Spielt es überhaupt noch (Spiel ist Entspannung) oder sieht es viel fern und sitzt vor dem PC – beides ist kein Spiel und kann Stress verursachen.
Entdecken und vermeiden Sie Stressoren!
Welche Stressoren sind es, die Ihrem Kind zu schaffen machen? Bewegungsmangel, voller Terminkalender, hoher Erwartungsdruck, falscher Umgang mit der Zeit, Angst, Wettbewerb, Lärmbelästigung, permanente Berieselung durch Musik, Geschwisterrivalität? Einigen Stressoren können Sie, sind sie denn erst mal erkannt, den Garaus machen.
Übrigens: Wer freiwillig und mit großer Freude etwas tut, dabei für sich einen Sinn entdeckt, empfindet Anspannung nicht als negativen Stress. Stress kann auch positiv und motivierend sein (EU- STRESS). Eu-Stress kann beflügeln, ohne belastend zu werden. Wer dann allerdings den Zeitpunkt zur Entspannung verpasst, gerät in den belastenden Disstress.
Maßnahmen zur Stressbewältigung
Die Ruheinsel
Richten Sie in Ihrer Wohnung eine Kuschelecke als Ruheinsel ein. Eine Ecke im Kinderzimmer mit vielen Kissen, die zum Entspannen, Kuscheln und Träumen einlädt. In die man sich verziehen kann, wenn man seine Ruhe haben will, nachdenken möchte, von anderen nicht gestört werden will. Das kann auch eine selbst gebaute Höhle unter einem Tisch sein oder eine Ecke im Zimmer, die mit Wäscheleine und Decken abgehängt ist. Wer ausreichend Platz hat, kann auch einen großen Kuschelkarton einrichten.
Ballmassage
Massagen können wunderbar zur Entspannung beitragen und Stress weg massieren. Wer ungeübt ist, kann ganz unproblematisch eine Ballmassage durchführen. Dafür brauchen Sie lediglich einen Tennisball. Ihr Kind legt sich auf den Bauch auf eine Matte oder Decke und Sie lassen den Tennisball in langsam kreisenden Bewegungen, beim Nacken beginnend, über den Körper kreisen. So eine Ballmassage können Sie sich auch von Ihrem Kind schenken lassen. Das Massieren eines anderen Menschen kann auch sehr viel Entspannung bringen.
Wettermassage
Auch die Wettermassage ist eine Technik für Anfänger und Ungeübte, die Kindern viel Spaß macht.
Es regnet = Sie lassen Ihre Fingerspitzen über den Rücken Ihres Kindes trippeln.
Es hagelt = Die Bewegungen werden kräftiger, die Fingerspitzen klopfen.
Es schneit = Zartes Streichen.
Es donnert = Ihre Handflächen klopfen auf den Körper.
Es stürmt = Sie pusten.
Ihrem Kind fallen sicherlich noch weitere Möglichkeiten ein. Tauschen Sie auch die Rollen.
Literatur
Monika Murphy-Witt; Petra Stamer-Brandt: Was Kinder für die Zukunft brauchen. Gräfe und Unzer, München, 2004.
Petra Stamer-Brandt: Stark-mach-Spiele. Christophorus-Verlag. Freiburg 2004
Petra Stamer-Brandt; Monika Murphy-Witt: Das Erziehungs-ABC. Gräfe und Unzer, München 2002 (1. Auflage).
Autorin
Petra Stamer-Brandt ist Mutter von vier Kindern und Stellvertretende Schulleiterin an der Fachschule für Sozialpädagogik in Hamburg-Altona. Sie ist ausgebildete Pädagogische Organisationsberaterin, Coach (Advanced Studies Universität Kiel) und hat zahlreiche Fachbücher und Elternratgeber geschrieben.